Neue Rechtsform: Erneuerung statt Abwicklung
Die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen wird dringend gebraucht. Sie erleichtert die Nachfolge und bewahrt den Mittelstand vor einem Ausverkauf. Ein Gastbeitrag.
von Barbara Dauner-Lieb und Michael Hüther,
erschienen bei Table.Media am 31. März 2025
Die Nachfolge-Krise im deutschen Mittelstand spitzt sich dramatisch zu. Laut DIHK gelingt nur noch jede dritte Unternehmensnachfolge in der Familie. Das ist alarmierend. Denn als Alternative bleiben in der Regel nur Abwicklung oder Verkauf, oftmals ins Ausland. Zwar haben sich Stiftungskonstruktionen als treuhändisches Nachfolgemodell bewährt, um Unternehmen langfristig unabhängig aufzustellen – auch von der Familie.
Doch sie sind exklusiv nur denjenigen zugänglich, die sich Kosten und juristischen Aufwand leisten können. Mindestens 95 Prozent der deutschen Unternehmen haben diese Freiheit nicht, da sich solche Konstrukte erst ab rund 30 Millionen Euro Jahresumsatz lohnen. Kaum verwunderlich, dass 72 Prozent der deutschen Familienunternehmen und fast 30 Wirtschaftsverbände eine neue und eigenständige Rechtsform befürworten, die den treuhändischen Weg für alle ermöglicht.
Die GmgV muss in den Koalitionsvertrag
Ein konkreter Vorschlag liegt bereits auf dem Tisch: Im vergangenen Jahr hat eine Expertengruppe von Rechtswissenschaftlern, der die Mitautorin dieses Textes angehört, einen Gesetzentwurf für die sogenannte „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“ vorgelegt, kurz GmgV. Schon die nun ausscheidende Bundesregierung hatte anvisiert, sich der Sache zu widmen. Die neue schwarz-rote Koalition sollte hier größeren Durchsetzungswillen zeigen. Das Vorhaben gehört nicht nur in den Koalitionsvertrag, sondern sollte ernsthaft verfolgt werden.
Worum es im Kern geht: Gesellschafter einer GmgV sind stimmberechtigt, haben aber keinen privatkonsumptiven Zugriff auf Gewinne und Vermögenswerte. Das ermöglicht eine treuhändische Weitergabe. Nachfolger steigen zum Nennwert ein, ohne hohen Kaufpreis. Der Pool an geeigneten Kandidaten wird so erheblich erweitert. Denn häufig stehen zwar motivierte, leistungsfähige Menschen in Unternehmen bereit, können aber den Kaufpreis nicht aufbringen oder haben nicht die Bonität für großvolumige Kreditlinien. Die neue Rechtsform würde ein Modell vereinfachen und für alle zugänglich machen, das große Unternehmen wie Zeiss, Bosch oder neuerdings auch Lidl mit Stiftungskonstruktionen schon lange erfolgreich umsetzen.
Viel wurde bereits über diese neue Rechtsform debattiert. Unter anderem europarechtliche Bedenken standen im Raum. Dabei wurde im EU-Land Schweden schon 2006 völlig geräuschlos eine vergleichbare Rechtsform eingeführt. Weder die Niederlassungsfreiheit noch die Mobilitätsrichtlinie wären von einer eigenständigen Rechtsform für gebundenes Vermögen betroffen, wie erst kürzlich 13 EU-Rechtsexperten öffentlich erklärten. Klar ist: Die Vermögensbindung muss wasserdicht und rückwirkend unumkehrbar sein. Sonst wäre die Rechtsform für die Praxis untauglich.
Bereicherung im Wettbewerb der Modelle
Um ein paar weitere beliebte Missverständnisse gleich auszuräumen: Es gibt hier keinerlei Zweckbindung für die Ewigkeit, wie man sie aus dem Stiftungsrecht kennt. Und selbstverständlich bleiben Kapital und Vermögen beweglich, und damit jegliche unternehmerische Entscheidungsspielräume offen. Auch ein Verkauf ist nicht ausgeschlossen, sollte er zum Beispiel wirtschaftlich geboten sein. Nur gilt auch für den Erlös die Vermögensbindung: Er muss reinvestiert werden, in eine vergleichbare Entität mit Vermögensbindung fließen oder gemeinnützig gespendet werden.
Finanzierungsmöglichkeiten sind gegeben, beispielsweise über Genussrechte, andere schuldrechtliche Instrumente oder auch Darlehensverträge. Leistung wird belohnt: Gesellschafter sind keine Mönche, sondern können am Erfolg partizipieren und sehr gute marktübliche Gehälter beziehen. All das funktioniert sehr gut. Wissenschaftliche Studien aus Dänemark zeigen: Bessere rechtliche Rahmenbedingungen für gebundenes Vermögen haben resiliente, innovative und nachhaltige Unternehmen zum Ergebnis, die genauso erfolgreich und profitabel operieren wie Unternehmen in herkömmlichen Rechtsformen. Was also dort äußerst erfolgreich funktioniert, sollte hier nicht länger blockiert werden.
Erweiterung unternehmerischer Freiheit
Diese Rechtsform eröffnet neue unternehmerische Freiheiten. Die Nachfolge-Frage zeigt das exemplarisch. Zumal es nur darum geht, den vorhandenen Kanon der Rechtsformen um eine Option zu erweitern, nichts soll dafür entfallen. Die Wirklichkeit wird außerdem vermutlich von hybriden Formen geprägt sein. Treuhändische Prinzipien kommen auch zur Entfaltung, wenn beispielsweise nicht einhundert Prozent eines Unternehmens der Vermögensbindung unterliegen, sondern in Tochtergesellschaften für Minoritäten durchaus auch Zugriffsmöglichkeiten bestehen: ZEISS Meditec AG ist dafür ein äußerst erfolgreiches Beispiel. Es geht also nicht um ein Gegeneinander, sondern ein Miteinander der Formen. Das bereichert den Wettbewerb der Ideen und der Modelle – und es stärkt unsere soziale Marktwirtschaft.
Alles in allem ermöglicht die GmgV ein wohl bekanntes Erfolgsmodell auf sehr viel breiterer Basis: das der klassischen Familienunternehmen. Hier wie dort wird langfristig orientiert gewirtschaftet, Gewinne werden hier wie dort reinvestiert, das Unternehmen wird hier wie dort treuhändisch oder quasi-treuhändisch in die Zukunft geführt.
Angesichts des demographischen Wandels in Unternehmerfamilien, ist es die originäre Aufgabe des Gesetzgebers im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft, neue Möglichkeiten zu schaffen: eine unbürokratische und kostengünstige Option, Unternehmen auch ohne Verkauf außerhalb der Familie weitergeben zu können. Diese Rechtsform ist nicht zuletzt für Unternehmer gedacht und gemacht, die Freude an der langfristigen Entwicklung und dem Erfolg ihres Unternehmens haben. Und die all das nicht aufs Spiel gesetzt wissen wollen, wenn sie keine Nachfolger in der Familie finden. Dem Standort Deutschland kann das nur guttun.